Militarismus

Militarismus
Mi|li|ta|ris|mus [milita'rɪsmʊs], der; - (abwertend):
Vorherrschen militärischen Denkens in der Politik und Beherrschung des zivilen Lebens in einem Staat durch militärische Institutionen:
Militarismus ist die Unterwerfung der politischen Vernunft unter militärisches Denken.

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Mi|li|ta|rịs|mus 〈m.; -; unz.〉 Vorherrschaft der militär. Macht, Überbetonung des Militärwesens, übersteigerte militär. Gesinnung [neulat., nach frz. miliarisme „Militärherrschaft“]

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Mi|li|ta|rịs|mus , der; -, …men (abwertend):
Vorherrschen militärischen Denkens in der Politik u. Beherrschung des zivilen Lebens in einem Staat durch militärische Institutionen.

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I
Militarismus
 
Das Schlagwort Militarismus bezeichnet die Überbewertung militärischen Denkens auch im zivilen Lebensbereich und die Übertragung militärischer Verhaltensweisen und soldatischer Umgangsformen auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, vor allem auf die Erziehung und Prägung der nachwachsenden Generationen. Der Begriff wurde erstmals in Frankreich um 1860 von Gegnern der von Napoleon III. betriebenen Einführung einer Berufsarmee verwendet. Er wurde sehr bald auch von süddeutschen Patrioten übernommen, um gegen die zunehmende Überlegenheit Preußens und seines militärischen Machtapparates zu protestieren.
 
Allen Großmächten waren in ihrem Weltmachtstreben im Zeitalter des Imperialismus und im Rüstungswettlauf starke militaristische Züge eigen, wie in ihrer Freude an der Zurschaustellung militärischer Macht, ihrer Heeres- und Marinestreitkräfte, in ihrer Grundeinstellung zum Krieg, dessen Unvermeidbarkeit sie voraussetzten, und nicht zuletzt in der Rechtfertigung ihres Anspruches, Kolonien zu erwerben und über Kolonialvölker zu herrschen. Ihnen nacheifernd zeigten auch viele kleinere Staaten, insbesondere die neuen Nationalstaaten auf dem Balkan, deutliche militaristische Verhaltensweisen.
 
Im politischen Meinungsstreit musste sich das Deutsche Reich in der Wilhelminischen Zeit den Vorwurf gefallen lassen, dem Militarismus besonders anzuhängen. Tatsächlich verhalf der Monarch, Kaiser Wilhelm II., durch seine Vorliebe für militärische Schauspiele jeder Art, durch seine Leidenschaft für die kaiserliche Flotte, durch die Bevorzugung militärischer Umgangsformen und durch sein persönliches Auftreten in der Öffentlichkeit dem Soldatenstand zu einer Spitzenstellung im gesellschaftlichen Ansehen. Der Militärdienst wurde zur »Schule der Nation« aufgewertet, wer »gedient« hatte, galt mehr in der Gesellschaft, und wer beruflich avancieren wollte, musste Reserveoffizier sein.
 
Die militaristische Prägung aller Lebensbereiche wirkte sich auch auf den Alltag der Kinder im Deutschen Reich aus; um die Jahrhundertwende wurde der Matrosenanzug zur bevorzugten Kleidung für kleine Jungen, und die Fibeln der Erstklässler waren voller militaristischer Stereotypen, wie etwa das Lob des Soldatentums und der »Ordentlichkeit«.
 
Bei ausländischen Besuchern und kritischen Beobachtern, aber auch bei innenpolitischen Gegnern festigte sich der Eindruck, dass das Wilhelminische Deutschland in besonderem Maße vom Militarismus geprägt sei. Diese Einschätzung der deutschen Wesensart beeinflusste dann im Ersten Weltkrieg und besonders in den Friedensverhandlungen die Haltung der Kriegsgegner nachhaltig.
 
II
Militarịsmus
 
der, -, um 1860 in Frankreich von den Kritikern Napoleons III. geprägtes Schlagwort, später in den allgemeinen politischen Sprachgebrauch eingegangen, bezeichnet Denkweisen, die militärischen Prinzipien zur ideologischen und ordnungspolitischen Grundlage von Staat und Gesellschaft machen. Merkmale des Militarismus sind Überbetonung militärischer Formen, Vorherrschaft des militärischen Machtprinzips im öffentlichen Leben, Ausbreitung militärisch-autoritärer Ordnungsformen (persönlicher Gehorsam, Disziplin) im zivilen Bereich und ihre Einwirkung auf das Erziehungswesen, Verherrlichung des Krieges, Einordnung des Heeres als Erziehungsinstitution, Bevorzugung und elitäre Sonderstellung der militärischen Führungsschicht, Sonderstellung des Militärhaushaltes (unverhältnismäßig hohe Rüstungsausgaben). In der Staatsführung erhalten militärische Erwägungen und Sicherheitsvorstellungen absoluten Vorrang. Der Militarismus ist nicht daran gebunden, dass Offiziere und Generale in leitende Regierungsstellungen gelangen.
 
Geschichtliches:
 
Liberale Kritiker Preußens in Deutschland griffen das Schlagwort auf, um die Sonderstellung des Militärwesens zu charakterisieren, die sich dort etwa seit dem In-Kraft-Treten des Septennats entwickelt hatte. Der Vorwurf des Militarismus wurde besonders gegen die preußisch-deutsche Militär- und Staatsorganisation im Ersten Weltkrieg erhoben, die zeitweilig auch in politischer Hinsicht von der Obersten Heeresleitung (OHL) abhängig war. Nach 1918 entwickelten sich in Japan militaristisch orientierte Gruppen in der Armee, die seit etwa 1931 immer stärkeres Gewicht gewannen. Der Nationalsozialismus griff auf die militaristischen Traditionen Deutschlands zurück. Im Zweiten Weltkrieg wurde die »Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus« (Potsdamer Protokoll von 1945) eines der Hauptziele der Alliierten.
 
Militaristische Traditionen haben seit 1945 an politischer Ausstrahlung verloren, die Technisierung der Kriegführung ließ aber das politische Gewicht des militärisch-industriellen Komplexes zunehmen. In den USA führten besonders der Vietnamkrieg und seine Folgen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber den Streitkräften. Im Zuge der Auflösung des Ost-West-Konfliktes sind die starken militärischen Einflüsse im öffentlichen Leben der ehemaligen kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas zurückgegangen.
 
 
G. Ritter: Staatskunst u. Kriegshandwerk. Das Problem des M. in Dtl., 4 Bde. (1-41964-73);
 A. Hillgruber: Großmachtpolitik u. M. im 20. Jh. (1974);
 
M., hg. v. V. R. Berghahn (1975);
 D. Senghaas: Rüstung u. M. (21982);
 W. von Bredow: Moderner M. Analyse u. Kritik (1983);
 V. R. Berghahn: M. Die Gesch. einer internat. Debatte, (a. d. Engl., 1986);
 W. Wette: M. u. Pazifismus (1991).
 

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Mi|li|ta|rịs|mus, der; - (abwertend): Vorherrschen militärischen Denkens in der Politik u. Beherrschung des zivilen Lebens in einem Staat durch militärische Institutionen: Übrigens steckte damals jedem Soldaten der M. ... in den Knochen (Kempowski, Zeit 362).

Universal-Lexikon. 2012.

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